Der Olymp der Atemübungen – über Kapalabhati
Der Atem ist eine der zentral wichtigen Funktionen unserer Physiologie. Über die Lunge wird Sauerstoff für das Blut, die Zellen und das Gehirn transportiert – eine Voraussetzung für den Energiehaushalt und die Vitalität. Als Atemübung ist Kapalabhati nicht die einzige Möglichkeit in Yoga dies zu fördern, sie ist aber in diesem Sinne sehr wirksam und ein bedeutender Baustein im Yoga-Atemsystem. Diese Atemtechnik dient als Türöffner, denn sie verstärkt das, was Yoga ohnehin schafft: auf andere Übungen vorzubereiten und Zugang zu einem anspruchsvolleren Umgang mit Atem und Atemübungen zu geben.
von Hamsananda
Gesundheitliche Balance oder Lebensgeist?
In den alten Quellenschriften Hatha Yoga Pradipika und Gheranda Samhita wird Kapalabhati (Bedeutung: strahlender Schädel) im Kapitel der Hatha Yoga Kriyas eingeordnet. Beim Hatha Yoga* geht es um Reinigung, Entgiftung und darum, eine gesundheitliche Basis (wieder-) herzustellen. Sie ist aber auch eine Atemübung. Was das bedeutet, dazu später.
Hatha Yoga – Reinigung als Methode – Gewinn an Ausgewogenheit und Stärke
Kapalabhati stimuliert die selbstreinigende Funktion der Schleimhaut und die Zilien, die kleinen Flimmerhärchen, die die Schleimhaut bedecken. Durch die Ventilation wird überflüssiger Schleim in der Nase, dem Rachen, Luftröhre und Lunge gelöst, nach außen transportiert und entfernt.
Yoga Mimamsa, eine der ersten Yoga-Zeitschriften der Welt, die ab 1924 vom Ashram des Swami Kuvalayananda (Dr. J. G. Gune) herausgegeben wurde, hatte ein für diese Zeit überraschend hohes wissenschaftliches Niveau. Als Grundlage vieler Artikel dienten sehr gründlich durchgeführte Studien.
Es ist naheliegend, schreibt der Autor** einer Arbeit über Kapalabhati, dass diese Atemübung nicht nur die Atemwege reinigt, sondern auch die Bereiche der Nase, die mit dem Kranium verknüpft sind: „Wir haben Grund zu der Annahme, dass Kapalabhati in der Lage ist, die Kapillaren in den entferntesten Bereichen des Körpers zu reinigen.“
„Kapalabhati entfernt CO2 im Körper in einem größeren Maß, die Aufnahme von Sauerstoff im System ist ebenfalls abweichend groß. Dieser erhebliche Austausch von Gasen in der Lunge bedingt von Kapalabhati führt dazu, dass das Blut mit Sauerstoff gesättigt wird. Das Ergebnis ist, dass die chemische Stimulation im Atemzentrum (Medulla oblongata – im verlängerten Rückenmark) abnimmt und das Zentrum ruhig wird.“
Wenn das Blut viel CO2 beinhaltet, wird der Atem schneller, um das CO2 abatmen zu können. Wenig Sauerstoff bedeutet ebenfalls einen schnelleren Atem. Deshalb ist Kapalabhati so konzipiert wie es ist: Es wird schnell geatmet. Wenn nun viel Sauerstoff im Blut vorhanden ist, sinkt die Atemfrequenz – der Atem wird langsamer. Dies bedeutet auch, dass es uns beim Ausführen von Übungen, bei denen es darum geht, den Atem anzuhalten (wie z.B. der Wechselatem in seiner fortgeschrittenen Form), leichter fällt und wir den Atem länger anhalten können.
Der reinigende Effekt berührt also zwei Bereiche: Durch die Entfernung von überschüssigen Schleim in den Atemwegen und durch die CO2 Entgiftung.
Pranayama – an die Meditation anknüpfen
Laya Yoga ist die abstrakte Form des Yoga. Es geht darum, Hindernisse für die Klarheit schmelzen zu lassen, um das Eintauchen in Absorption und Leere zu ermöglichen. Aus der Stille wächst die Achtsamkeit. Hierbei steht uns Kapalabhati zur Verfügung, als sensibilisierende Vorbereitung immer feinere Nuancen unseres Lebensraumes und unseres Selbst wahrnehmen zu können und die (innere) Stille schrittweise verstehen und erlangen zu können. Somit ist Kapalabhati auch dem Laya Yoga zugehörig.
Aufklärung
Wir suchen etwas Wertvolles – und finden es: Kapalabhati ist vielseitig. Wer kein Yoga kennt, sollte aber zunächst das Grundlegende rund um Atem und die Atemübungen erlernen. Wer Yoga bereits kennt und mit den Pranayama in Berührung gekommen ist, kann sich auf eine neue Dimension freuen.
Kapalabhati sichtbar werden lassen
Kapalabhati besteht aus 2 Abschnitten, dem Atmen und dem Atemanhalten. In einer Meditationsstellung sitzend atme 30 – 100 Mal kräftig und stoßweise durch die Nase aus. Atme so kurz, kräftig und rasch, dass das Einatmen unmittelbar und spontan erfolgt. Zum Schluss atme vollständig aus. Halte den Atem mit drei Verschlüssen, Jalandha Bandha (dem Kinnverschluss), Uddiyana Bandha (dem Bauchverschluss) und Moola Bandha (dem Wurzelverschluss) eine Zeit lang an. Anschließend löse die Verschlüsse in umgekehrter Reihenfolge und atme ruhig ein. Nach einem Augenblick setze mit der nächsten Runde fort. 3 Runden sind ein passendes Maß.
Das Anhalten des Atems ist hierbei sehr wichtig. Die während des Anhaltens verwendeten Bandhas bilden zusammen Maha Bandha, den großen Verschluss. Er ist in diesem Zusammenhang bedeutsam und für die Wirkung erheblich mitverantwortlich.
Kapalabhati wird vor dem Wechselatem (Nadi Shodana) ausgeführt.
Die beschriebene Anleitung visualisiert die Übung und dient in erster Linie der Information. Kapalabhati sollte von einem Lehrer, der sich ausgiebig damit auskennt, erlernt werden.
*) Die Begriffe Hatha Yoga oder Hatha Yoga Kriya wurden ursprünglich in Yoga die Bezeichnung für den ersten Abschnitt von insgesamt 8 verwendet – die Reinigungsprozesse. Heute versteht man unter Hatha Yoga hingegen oft die Yogastellungen. Damit wir einig sind, womit wir es zu tun haben, wird hier die ursprüngliche Bedeutung verwendet.
**) Autor unbekannt
***) Bei akuter Bronchitis kann es dazu führen, dass zu viel Schleim auf einmal gelöst wird und zu Husten führt. In diesem Falle sollte Kapalabhati lieber ausgesetzt werden und stattdessen Ujjayi Pranayama über eine längere Zeit praktiziert werden. Ujjayi sichert, dass der Schleim langsam und sanft gelöst wird und der chronische Zustand der Beschwerde nach und nach zu Ende geht.
Quellen:
Yoga Mimamsa, Vol IV, Juli 1930. Herausgegeben von Swami Kuvalayananda
Gheranda Samhita
Hatha Yoga Pradipika