Prana und die Kraft der Kohärenz

Dieser Artikel wurde ursprünglich in der Zeitschrift Yoga Aktuell Nr. 134, Juni / Juli 2022 als zweiter Teil einer Trilogie veröffentlicht.

Skandinavisk Yoga og Meditationsskole - KopenhagenYoga Shakti: Das erste Mal, dass ich mit Yoga – in der Form eines erhöhten Energielevels – in Berührung kam war Mitte der 1980er Jahre in Kopenhagen. Als junge, suchende Frau mit einem frischen Abitur in der Tasche kam ich von einer mehrmonatigen Reise zurück in die dänische Heimat und meinte, ich sollte mich nun auf etwas konzentrieren. Einige Yogahaltungen kannte ich bereits von Sportstunden und vom Fitnessstudio. Dies veranlasste mich, in die Gelben Seiten zu schauen, wo mein Blick auf eine große Anzeige der Skandinavischen Yoga und Meditationsschule fiel. Diese betrieb (und tut es immer noch) ein ganzes Gebäude um einen Innenhof herum in der Fußgängerzone Kopenhagens mit etlichen Unterrichtsräumen auf mehrere Etagen verteilt, und einem Ashram im Obergeschoss.

Ich bemerkte schnell, dass es hier anders war. Diese von Kopf bis Fuß in Orange gekleideten Leute hatten eine Art elektrische Ausstrahlung, auch wenn sie nur dasaßen und im Unterricht mündliche Anleitungen von sich gaben. Der ganze Ort vibrierte elektrisch – die sorgfältige und hochwertige Einrichtung, die sinnlichen Gemälde an den Wänden, die leuchtenden Augen der vielen Schüler, und natürlich auch die immer aufgeweckt wirkenden Yogalehrer, die sichtlich alle am selben Strang zogen. Die Atmosphäre war einfach unwiderstehlich, und nach dem ersten Kurs wollte ich nur mehr davon haben.

So begann meine Entdeckungsreise durch die tantrische Yogatradition. Schnell belegte ich tiefgehende Kurse und Retreats am Kurszentrum Håå in Schweden. Das größte Highlight war ein dreimonatiges Retreat mit Prana Vidya, eine Technik zur Verjüngung und Genesung und die Einführung in den authentischen Kriya Yoga, die Krönung der tantrischen Tradition. Naheliegend war es, mich anschließend zur Yogalehrerin ausbilden zu lassen.

Wer eine Yogaschule betreibt, weiß, dass es ein Beruf mit Dornen und Rosen ist. Dem anfänglichen Höhenflug der Begeisterung folgt ein Alltag mit Buchhaltung, Marketing, Putzen, Verwaltung usw. – wie in jedem Betrieb. Das Unterrichten und das Beisammensein mit den Schülern sind natürlich sehr belebende Momente. Nun gibt es im Yoga keine materiellen Garantien, aber es geht grundsätzlich um die Weise, wie wir etwas erleben – und wie wir auf das Erlebte reagieren.

Mit der Zeit wird es einem zunehmend klar, dass man Teil eines großen Geflechtes ist und dass dieses Geflecht aus Gesellschaft und Natur wie ein Organismus ein eigenständiges Leben führt – und man hängt einfach dran. Daraus entsteht ein Verantwortungsgefühl für alles Leben.

Alle großen Krisen unserer Zeit – Energie, Gesundheitswesen, Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung und sogar Krieg sind Facetten derselben Krise, eine Krise der Wahrnehmung. Diese entsteht, wenn Sichtweisen und Auffassungen, die auf einem bereits veralteten Weltbild beruhen, nicht mehr die Realität erklären können.

Hamsananda: Als ich selbst mit Yoga anfing, hatte ich auf der rationalen Ebene keine Ahnung davon, wo das hinführen sollte. Im Rückspiegel gesehen, wusste ich es jedoch ganz genau. Ich sehnte mich nach der Leichtigkeit des Lebens und nach individueller Freiheit. Ich wollte selbst bestimmen können – unabhängig der Meinungen anderer hinter die Dinge gehen, um Substanz zu finden und Herausforderungen meistern zu können.

Seitdem ich als junger Yogalehrer zunehmend an wissenschaftlichen Untersuchungen von Yoga teilnahm (siehe den ersten Artikel unserer Trilogie) beschäftigt es mich, welche Faktoren einem gesunden Leben zugrunde liegen und wie diese im Zusammenhang miteinander stehen.

Florence Nightingale, die vermutlich bekannteste Krankenschwester der Geschichte, sprach vorausschauend schon im neunzehnten Jahrhundert über die Konstitution eines Menschen als den wichtigsten Faktor für die Gesundheit und das Wohlergehen.

Pierre Jacques Antoine Béchamp, einer der größten Wissenschaftler Frankreichs, sagte einige Jahre später: Nicht die Mikroben sind wichtig, sondern der Nährboden. Im Gegensatz zu Gegenspielern seiner Zeit hatte Béchamp Antworten auf viele entscheidende Fragen in der Biologie und wurde im neunzehnten Jahrhundert der wichtigste Fürsprecher dafür, mehr auf Voraussetzungen, also den Nährboden zu achten, und weniger Wert auf das „Bekämpfen“ zu legen.

Eine der Hauptideen der neuen Perspektive in der Organisation des Lebens ist „Kohärenz“. In gemeiner Sprache bedeutet Kohärenz Korrelation, Zusammenhang, Zusammengehörigkeit oder auch Konsistenz im System. Kohärenz bezieht sich immer auf die Gesamtheit.

Yoga Shakti: Im Ayurveda betrachtet man die Gesundheit eines Menschen ebenfalls als ein System, das im Gleichgewicht gehalten werden soll. Die drei Doshas Vata, Pitta und Kapha können u.a. durch Ernährung, Medizin und Tagesroutinen beeinflusst und in Harmonie gebracht werden.

Die Kohärenz, das Zusammenwirken aller Systeme unseres Daseins, ist als alles entscheidende Voraussetzung für menschliche Stärke und Performance zu betrachten. Es geht darum zu vermeiden, dass man sich in der Betrachtungsweise im Detail zu verliert, und stattdessen ganzheitlich zu denken.

In der ursprünglichen chinesischen Medizin enthielt jedes Medikament immer sechszehn verschiedene Zutaten. Auch die verschiedenen Funktionen des Körpers wurden bis auf die kleinste Ebene in sechszehn Glieder unterteilt. Interessant ist es, dass diese sechszehn Elemente mit der Struktur einer Gesellschaft verglichen wurden. Es gab Bauern, Handwerker, Kaufleute und natürlich auch einen Vorsitzenden, dessen Pflicht war, leer zu verbleiben. Es wird zudem von zwei Herzen gesprochen, dem körperlichen Herzen und dem Herzensraum, wie dem Hrdayakasha. Im Yoga.

Nun ist es (noch?) nie gelungen, das Leben eines Organismus lediglich durch die Funktion seiner Einzelteile zur erklären. Es fehlt eine Komponente. Diese „unsichtbare“ Kraft nennt man in der chinesischen Medizin Qi und in der Yogatradition wird sie Prana genannt; in anderen Traditionen finden wir andere Namen. In der Biologie wird in diesem Zusammenhang die Rolle von Licht als Hauptbestandteil des schwingenden Kommunikationssystems des Körpers in Betracht gezogen.

Godess DurgaPrana Vidya ist eine Meditationsform, die den Körper grundlegend regeneriert und das Energiefeld des Körpers erneuert. Das Wissen darüber, wie Energie akkumuliert und gelenkt werden kann, kommt in Prana Vidya in einer höchst entwickelten und pragmatischen Form zum Ausdruck. Sie fängt mit Techniken zum Erwecken vom schlummernden Prana im Muladhara Chakra an. Anschließend wird Prana durch die Energiepassage Pingala Nadi zum Ajna Chakra geführt, dem pranischen Lager- und Verteilungsort. In weiteren Stufen zirkuliert Energie in bestimmten pranischen Kanälen im ganzen Körper. Nach und nach wird der Übende Prana als reines Licht erleben können. In den letzten Stufen öffnet die Praxis einen Weg, um mit Maha Prana, der kosmischen Energie, zu verschmelzen.

Wissenschaftler entdecken, dass mentales Üben einer gegebenen Aktivität, ohne sich zu bewegen, die Leistung erheblich verbessert. Neuropsychologen entdeckten des Weiteren, dass das Denken an ein Bewegungsmuster ein entsprechendes Muster der Aktivität im Nervensystem auslöst, auch wenn keine tatsächliche Bewegung stattfindet. Es wird angenommen, dass mentale Übungen und die Signale, die sie auslösen, Pfade für Energie- und Informationsfluss stärken. Diese können dann aufgerufen werden, wenn die Zeit für reales Handeln kommt.   Symbol Artikel Ende

 

Teil eins und drei der Trilogie sind hier zu finden:
→ Teil 1:  Auf dem Weg zu dir Selbst – eine erste Einführung in Pranayama, den erstaunlichen Schlüssel zur Lebensenergie
→ Teil 3: Prana, Yama und Kriya-Yoga

Prana Nidra und Prana Vidya erleben

Auf unserer Podcastseite gibt eine Yoga Nidra Anleitung mit Schwerpunkt Prana Nidra. In der Übung werden die fünf pranischen Kraftfelder (Sthula Prana, Apana, Samana, Udana und Vyana) im menschlichen Körper visualisiert und kanalisiert. Diese Erfahrung bildet eine gute Grundlage für das Lernen der tiefgreifenden und komplexen Prana Vidya Technik, die wir im jährlichen Prana Yoga Retreat unterrichten.

Die Zitate stammen aus dem Buch „Energy Medicine in Therapeutics and Human Performance“ von James L. Oschmann, PhD.

 

Zwischen dem Ein- und Ausatem gibt es die StilleZum Weiterlesen: Yogacharya Hamsananda: Zwischen dem Ein-und Ausatmen gibt es die Stille -Praxisbuch über Atem und Pranayama, die Atemübungen des Yogas. BoD Verlag 2021. → Zur Buchvorstellung